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"Die richtige Reihenfolge definieren“ - Experteninterview zum Thema SAP-Rollout-Strategie

Christopher Stangl, Leiter des Strategischen Geschäftsfelds Manufacturing Industries I bei der T.CON, erklärt, welche Faktoren in die SAP-Rollout-Strategie einbezogen werden und warum es nicht unbedingt lohnt, SAP-Systeme in einem ganzen Land auf einen Streich einzuführen.

Plattling, den 29. Januar 2021

SAP Rollout Strategie Experte Christopher Stangl

Christopher Stangl, warum benötige ich eine Rollout-Strategie? SAP-Systeme einzuführen – geht es nicht auch ohne Strategie?

Dazu raten, auf die Entwicklung einer SAP-Rollout-Strategie zu verzichten, würde ich jedenfalls nicht. Unsere Kunden sind häufig Unternehmen, die international vertreten sind und mehrere Standorte haben. Unabhängig davon, ob ich eine Ersteinführung vornehme oder Systeme erneuere, stellt sich die Frage, an welchen Standorten ich beginne und welche ich später versorge. Die große Frage ist: Wie definiere ich die richtige Reihenfolge der einzelnen Rollouts? Oft ist der erste Gedanke, dass man im Headquarter anfängt, aber das muss nicht immer der richtige Startpunkt sein, auch bei einer Ersteinführung nicht. Wir brauchen Kriterien, nach denen wir definieren, in welcher Reihenfolge wir arbeiten, damit wir effizient, kostensparend und mit dem geringsten Risiko vorgehen.

Welche Kriterien kann ich denn nutzen, um mein Vorgehen beim Rollout und beim Ausarbeiten der SAP-Rollout-Strategie zu definieren?

Es gibt harte und weiche Faktoren. Die harten Faktoren kann ich gewichten und in einer Matrix bewerten. Start ist eine Ist-Analyse. Wie sieht die Systemlandschaft aus? Ist es eine hybride Systemlandschaft, die etwa durch Zukäufe oder aus der Historie heraus entstanden ist? Haben wir zum Beispiel ein Unternehmen mit fünf Standorten und drei ERP-Systemen, bei dem wir ausrollen wollen?

SAP-Rollout-Strategie: Frage nach den Altsystemen

Dann schauen wir nach unterschiedlichen Kriterien. Ein Kriterium ist etwa, ob es in dieser Landschaft Altsysteme gibt, die bald aus der Wartung fallen oder bei denen der letzte Kollege, der es betreuen kann, sich auf den Ruhestand vorbereitet.

Weitere Kriterien sind legale Anforderungen, gerade zu einer Zeit, wo sich die Welt rasant verändert. Der Brexit oder neue Regularien in der Gesetzgebung eines Landes müssen wir im Auge haben, denn die ERP- und Finance-Systeme müssen den Regularien folgen. Also muss ich weltweit untersuchen, ob ich Standorte habe, die von Veränderungen betroffen sein werden, die diese Regularien systemseitig nur mit viel manuellem Aufwand, mit maximalen Investitionen in das Altsystem oder gar nicht erfüllen können.  

Es gibt sehr viele solcher Kriterien, die wir in die Entwicklung einer SAP-Rollout-Strategie mit einbeziehen – auch den Faktor Compliance beispielsweise. Entsprechen die bestehenden Systeme auch in Zukunft den Verordnungen oder ist bereits klar, dass neue Regelungen, etwa zum Datenschutz, nicht umgesetzt werden können? Beispielsweise, weil sich ein entsprechendes Berechtigungskonzept technisch nicht realisieren lässt.

Fließen auch betriebswirtschaftliche Betrachtungen in die Bewertung ein? Und wenn ja, in welcher Weise?

Wir stellen bei der Entwicklung der Strategie für den Rollout auch solche Fragen. Gibt es beispielsweise neue Anforderungen aus dem Markt? Was wird von unseren Kundenunternehmen erwartet? Gibt es Themen, die sie aktuell nur mit großem Invest in ihr bestehendes System erfüllen können?

Mischt ein Tesla gerade Ihren Markt auf?

Wir haben beispielsweise etliche Zulieferer unter unseren Kunden. In der Branche passiert gerade Folgendes: Viele Autozulieferer ringen um Aufträge von Tesla. Als Zulieferer auf einmal das Thema Elektromobilität abzubilden, erfordert stellenweise neue Prozesse, neue Verfahren. Bei der Ausformulierung der SAP-Rollout-Strategie würde man den Rollout in den entsprechenden Werken hochpriorisieren, damit man gleich auf einer optimalen Grundlage in ein neues Geschäftsfeld startet.

Ein Standort, der vor Kurzem gegründet wurde oder aus anderen Gründen perspektivisch stark wachsen soll, ist auch ein Kandidat für einen schnelleren Rollout. Wenn er um das zwei- oder dreifache in kurzer Zeit wächst, ist es sinnvoll, das mit einem neuen System zu begleiten und nicht Excellösungen oder Altsysteme aufwendig „aufzupeppeln“. Umso schwieriger und komplexer ist dann auch der Wechsel zu einem späteren Zeitpunkt. Dann ist Wechsel nach Wachstum riskanter.

Gleiches gilt, wenn ich einen Standort technologisch in hohem Maße weiterentwickeln will – etwa im Zuge von Industrie-4.0-Initiativen.  

Welche Rolle spielt das Thema Risikomanagement bei der Entwicklung der Rollout-Strategie? SAP-Systeme sind ja in der Regel absolut unternehmenskritische Systeme.

Risikobetrachtungen spielen eine große Rolle. Natürlich brauchen wir ein genaues Verständnis über mögliche Auswirkungen, wenn der Rollout sich verzögert. Wir ermitteln, wie viele Standorte etwa davon abhängen, wenn ein Montagestandort die Arbeit unterbricht, der meinetwegen drei weitere Standorte mit Ware beliefert. Möglicherweise hat das weniger große Auswirkungen als eine Verzögerung beim Rollout in einem Vorfertigungsstandort des gleichen Unternehmens, das zehn Produktionsstätten mit Modulen versorgt.

Der Mensch als Faktor bei der Strategieentwicklung

Welche Rolle spielen denn weiche Faktoren wie etwa die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter an den unterschiedlichen Standorten für die Entwicklung einer Rollout-Strategie? SAP-Systeme einzuführen ist ja auch immer eine große Veränderung.

Die weichen Faktoren spielen eine sehr große Rolle. Ein Rollout umfasst viele Dimensionen – von der technischen Veränderung und neuen Prozessen bis hin zu Veränderungen in den Organisationen. Das ist nur zu stemmen mit Menschen, die Lust auf die Veränderungen haben. Also evaluiere ich auch, wo ich Menschen finde, Lust haben, den Change mitzugehen, als „Leuchttürme“ zu fungieren und mit Erfolgsmeldungen zu punkten.

Wenn ich einen Überblick über die Kriterien für die Entwicklung der SAP-Rollout-Strategie bekommen habe – wie geht es dann weiter?

Der Kunde kennt seine Organisation sehr viel besser als wir, die als externe Berater dazukommen. Wir gehen mit dem Kunden die Kriterien durch und entwickeln gemeinsam eine Gewichtung. Je nachdem, wie zentral oder dezentral das Unternehmen zusammengesetzt ist, nimmt man diese Bewertung auch mit Vertretern der Standorte vor. Auf Grundlage der Gewichtung entwickeln wir dann das Vorgehen für den Rollout.

Welchen Zeitraum muss ich für die Entwicklung einer Rollout-Strategie veranschlagen?

Wir gehen von einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten aus. Das ist ein Zeitraum, in dem man sich gut finden und unterschiedliche Szenarien entwickeln und durchsprechen kann. In der Regel wird in der Praxis dann nie das erste Szenario umgesetzt, wir reden hier von einem iterativen Prozess, der sich anpasst. Eine SAP-Rollout-Strategie ist dann oft der Start für eine Zusammenarbeit, die lange währt. Sie hat ein stabiles Fundament, aber sie ist kein starrer Rahmen.

Die Organisation braucht eine Perspektive

Die Organisation braucht einen Ausblick, eine Perspektive, die Standorte müssen wissen, wann sie an den Innovationen partizipieren können. Aber Veränderung gehört zum Unternehmensalltag. Wir haben Kunden, bei denen begleiten wir seit einem Jahrzehnt die Rollouts. Die SAP-Rollout-Strategie entwickelt sich dementsprechend weiter, denn diese Unternehmen verändern sich im Laufe der Zeit, etwa durch Zukäufe, Merger oder neue Standorte.

Welche “Dos and Dont’s“ ergeben sich aus deiner Praxiserfahrung beim Thema Rollout-Strategie?

Zu den „Dos“: Man braucht ein gutes Bild, wie die Personalstruktur in der Organisation aussieht. Wo finde ich die „jungen Wilden“, die Lust auf Veränderung haben? Wo sitzen die Lokalfürsten, die noch zwei Jahre ihr Fürstentum ohne Veränderungen bewahren wollen, bevor es in den Ruhestand geht? Dieses Wissen hilft mir enorm, auch wenn es eher in die Soft Facts fällt.  

Außerdem brauche ich ein genaues Verständnis davon, wie das Business des Kunden funktioniert. Wo sind die Sollbruchstellen? Welche Abteilungen sind die, ohne die nichts geht? Wo sind die Bottlenecks, die für Stillstand sorgen können? 

Und was würde man unter den „Don’ts“ einordnen?

Das größte „Don’t“ bei der SAP-Rollout-Strategie ist, sich zu viel vorzunehmen. Ich sollte beispielsweise nicht versuchen, mit der Brechstange neue SAP-Systeme in einem ganzen Land in einem Zug einzuführen, obwohl ich dort zum Beispiel drei ganz unterschiedliche organisatorische Einheiten vorgefunden habe. Dann plane ich lieber ein paar mehr Rollout-Wellen ein.

 


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